Syrien: Analyse

Die Flagge Syriens

Die Flagge Syriens

Während in Ägypten und Tunesien die langjährigen Regenten von den Protesten zum Rücktritt gezwungen wurden und im Jemen, in Jordanien, Algerien und sogar im Oman Menschen auf die Straße gehen, hört man aus Damaskus…nichts. Auch Syrien ist eine arabische „Präsidialrepublik“, in der die Macht im Wesentlichen in den Händen eines Einzelnen liegt – in Syrien bereits in der zweiten Generation. Die Medien sind staatlich oder staatlich kontrolliert, eine breite Bloggerszene ist noch nicht etabliert, das Internet wird kontrolliert und zensiert.

Hier zwei Stimmen zur politischen Lage des Landes.

Gary C. Gambill fasst die Politik Assads in Syrian als Abwehr eines für Unterwanderung anfälligen Minderheitenregimes zusammen:


Assad sei als politischer Partner in außenpolitischen Fragen westlicher Länder nur dann Ansprechpartner, wenn er es schafft, sich mit seinem Volk auszusöhnen.
Der Westen müsse verstehen, dass das Land sehr anfällig für externe Unterwanderungen sei. Syrien ähnele von der Machtstruktur zwar dem Baathistischen Irak, wo eine Sunnitische Minderheit über eine Schiitische Mehrheit regierte, seine Außenpolitik folge jedoch völlig anderen Imperativen.
Syrien ist das einzige Land wo eine sunnitische Mehrheit von einer kleinen relgiösen Abspaltung regiert werden – den Alawiten.
Die alawitische Regierung Syriens hält sich aufgrund eines starken Staates, das Organisationen politischer Gruppen verhindert, eine säkular-nationalistische Ideologie, die religiöse Unterschiede negiert und eine Außenpolitik, welche Konflikte zwischen den Konfessionen entgegensteht. Also strategische Allianzen und Zugeständnisse an die „sunnitische Straße“ – Gambill sieht die Tatsache, dass weder Al Qaeda noch die Muslimbrüder Assad zur Zielscheibe wählen, als Folge dessen antizionistischer und antiamerikansicher Bekenntnisse.
Eine außenpolitische Wende Assads könnte daher laut Gambill schlimme Folgen haben. Ein Frieden mit Israel würde seinen antizionistischen Standpunkt ausser Kraft setzen und die Rechte von rund 400 000 Palästinensern übergehen. Diese Entwicklungen könnten konfessionelle Konflikte anheizen. Die logistische Unterstützung für den Dschihadismus im Irak einzustellen, würde Syrien der Gefahr ausliefern, von Al Qaeda ins Visier genommen zu werden. Eine unabhängige sunnitische Regierung im nahen Libanon zu ermöglichen, bezeichnet Gambill als „Wahnsinn“.
Amerikanische Regierungen seien zu langsam darin, die strategischen Imperative der Alawitischen Hegemonie in Damaskus zu erkennen, die an sich nicht extremistisch sei, da die meisten Alawiten säkular seien und Islamismus als Bedrohung ihrer Sicherheit ansähen und zudem weniger als ihre sunnitischen Landsleute emotional in den Pälastina-Konflikt involviert seien.

Joshua Landis sieht mehrere Faktoren, welche Syriens Stabilität langfristig gefährden:

Das Bevölkerungswachstum von durchschnittlich 3.02 Kindern pro Frau bedeute zwar einen starken Rückgang in den letzten Jahrzehnten, schaffe aber dennoch eine demografische Herausforderung. 40 Prozent der Bevölkerung ist unter 14 Jahren, nur 3 Prozent sind älter als 65. 60 Prozent sind zwischen 15 und 59. Landis sieht hier Identifikationspotenzial zu Präsident Assad, der Mitte Vierzig ist – im Gegensatz etwa zu dem über 80jährigen Mubarak.

Damascus, Syria, the way we looked at it in 1949Problematisch sei die Verbindung aus starkem Bevölkerungs- und geringem Wirtschaftswachstum: die jüngsten 40 Prozent der Syrer werden in wenigen Jahren Jobs suchen. Auch die Quote der jungen berufstätigen Frauen ist in Syrien mit 21 Prozent sehr niedrig, was weiteres Druckpotenzial für den Arbeitsmarkt bedeutet. Zwischen 1975 und 2000 hat sich die Bevölkerung fast verdoppelt – die inflationsbereinigten Einkommen sanken hingegen. Das wirtschaftliche Wachstum blieb hinter dem Bevölkerungswachstum zurück. Ähnlich ist die Lage in Ägypten, wo der Einkommenstandard seit 20 Jahren nicht stieg. Landis vergleicht das Land mit der Türkei und stellt fest, Syrien müsse sich am dortigen Wachstum orientieren, wo das pro Kopf einkommen um fast 275 % stieg. Konsequenterweise müsse das Wirtschaftswachstum gefördert, das Bevölkerungswachstum gebremst werden. Dafür müssten schleunigst mutige wirtschaftliche Reformen her – ebenso wie Maßnahmen zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums. Bis 2032 wird sich die Bevölkerung erneut verdoppelt haben. Die derzeitige Wachstumsrate von 3.26 Prozent stehe 1.24 Prozent der Türkei gegenüber, was der Wirtschaft mehr Zeit gebe parallel zu wachsen.

Zudem gelte es bei der Betrachtung der Wirtschaft mit inflationsbereinigten Werten zu arbeiten. Es sei extrem schwierig mit einer hohen Inflationsrate echte Wachstumsraten von 7-8Prozent zu erreichen. Landis kommt auf einen Wachstumswert von mindestens 8.5 % bei gleichbleibendem Bevölkerungswachstum und 6.5 Prozent bei einem Bevölkerungswachstum von 1.25 Prozent.

Bis vor wenigen Jahren habe es in Syrien noch Medallien für Frauen mit zwölf Kindern gegeben, Familienplanung war demnach kein Thema. Das müsse sich ändern. Neben sinkenden Einkommen werde auch das Wasser knapp. Es gebe aber Beispiele von Ländern, die ein immenses Bevölkerungswachstum in den Griff bekommen haben, wie etwa Thailand, wo mit staatlicher Geburtsplanungspolitik die Geburten pro Frau von durchschnittlich 7 auf 1,5 reduziert wurde. Zusätzlich müsse die Wirtschaft wachsen. Seit 2003 betrug das Wachstum zwischen 3,4 und 4,8 Prozent, demnach steigt das Pro-Kopf-Einkommen etwa halb so schnell wie in der Türkei in den vergangenen 30 Jahren. Das lasse Syrien wenig Raum für Fehler, sonst erreiche man ägyptisches Niveau.

Syrien peile 7-8 Prozent Wachstum an, dafür müsstem aber Gesetzgebung, Steuer- und Finanzpolitik syncronisiert werden. Die Gesetzgebung müsse einfacher und wirtschaftsfreundlicher werden.

50 Prozent ihres Einkommens gäben Familien im Nahen Osten für Nahrung aus. In Syrien werden Grundnahrungsmittel und Kraftstoffe subventioniert. Dies wurde allerdings eingeführt, als die Bevölkerung aus nur 6 Millionen Menschen bestand und die Ölförderung stieg ständig – heute sinkt sie wieder. 8 Milliarden US-Dollar betrugen die Subventionen im vergangenen Jahr – 2000 Dollar pro Familie. Diese Zahlungen werden in Zukunft stark ansteigen, das Geld fehlt an anderer Stelle, etwa in der Ausstattung medizinischer Einrichtungen, dem Straßenbau oder Schulen.

Hierfür müsse man Steuer erhöhen, Geld leihen – oder drucken. Zudem sei der politische Druck derzeit immens. Landing rät trotzdem zum Abbau der Subventionen, was unausweichlich sei.



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